Marianne und ich nahmen letzte Woche an der grössten WordPress-Konferenz in Europa teil: dem WordCamp Europe 2025 in Basel. Marianne war als Volunteer im Einsatz, ich selbst als Organisator im Social-Media-Team. Für mich war es nicht nur ein Besuch, sondern eine Rückkehr in eine vertraute, lebendige Community. Als Mitorganisator des WordPress Meetup Zürich, Co-Lead des WordCamp Zürich 2019 und Teil des Orga-Teams beim WordCamp Switzerland 2023 war es besonders schön, wieder mitten im Geschehen zu sein.

Die Zusammenarbeit im Social-Media-Team hat richtig Spass gemacht – zusammen mit Wendy aus den Niederlanden, Luca und Ali aus Italien, Kasia aus Polen, Ximena aus Belgien, Brin aus den USA und Lena aus Spanien. Über 1.700 Menschen aus 84 Ländern nahmen vor Ort teil, bei rund 2’000 verkauften Tickets. Am Contributor Day engagierten sich bereits am ersten Tag über 640 Teilnehmende. Basel wurde für ein paar Tage zum Mittelpunkt der WordPress-Welt – und zum Ausgangspunkt für neue Impulse. Einer davon: FAIR.

Ein WordCamp, das mehr wollte als nur Vorträge
WordCamp Europe 2025 fand vom 5. bis 7. Juni im Congress Center Basel statt – eine der teuersten Städte Europas, und doch ein Ort, an dem die Veranstalter unter Beweis stellten, dass Inklusivität und Zugänglichkeit keine Frage des Preises sein müssen. Die Tickets kosteten wie im Vorjahr 50 €, viele Hotels boten Sonderkonditionen, und dank der Basel Card waren Trams und Busse kostenlos. Sogar die Anreise mit dem Velo aus dem nahen Frankreich oder Deutschland war für manche Teilnehmende ein Thema.
Aber auch abseits der Logistik war Basel ein Statement. Das Organisationsteam – bestehend aus 90 Freiwilligen – setzte auf ein vielfältiges Speaker-Line-up, thematische Ausgewogenheit, gezielte Pausen für persönliche Begegnungen und eine offene Kommunikation mit der Community, trotz spürbarer Spannungen rund um das Verhältnis zwischen grossen Playern im WordPress-Ökosystem.

Offene Fragen in der Community: Die Spannungen rund um Automattic und WP Engine
Die diesjährige Ausgabe des WordCamp Europe fand nicht im luftleeren Raum statt. In den Monaten zuvor hatte ein öffentlich ausgetragener Konflikt zwischen Automattic – dem Unternehmen hinter WordPress.com – und WP Engine – einem der grössten WordPress-Hoster weltweit – für Aufsehen gesorgt.
Konkret ging es um technische Einschränkungen beim Zugriff auf die Plugin-API von wordpress.org, die sich negativ auf WP Engines «Advanced Plugin Manager» auswirkten. WP Engine reagierte mit einem offenen Brief und der Entscheidung, WordPress künftig in einem stärker kontrollierten Hosting-Stack zu betreiben. Die Debatte rief viele Fragen zur Kontrolle über zentrale Infrastruktur, zur Neutralität von Automattic im Ökosystem und zur Governance von WordPress.org auf den Plan.
Während auf Social Media hitzig diskutiert wurde, zeigte sich das Organisationsteam in Basel bemüht, den Fokus auf das zu lenken, was WordCamp Europe ausmacht: Offenheit, Begegnung und Austausch. In Town-Hall-Meetings und internen Calls wurde frühzeitig ein sicherer Raum geschaffen, in dem auch Unsicherheiten und Sorgen ihren Platz hatten. Das Ergebnis: eine Veranstaltung, die nicht konfliktscheu, aber auch nicht spaltend war.
Der Konflikt war spürbar – aber nicht dominant. Und vielleicht ist genau das die Stärke der Community: Inmitten struktureller Spannungen den zwischenmenschlichen Raum offen zu halten.

FAIR: Eine neue Initiative am Rand der offiziellen Bühne
Am Abend des zweiten Konferenztages, nur wenige Gehminuten vom offiziellen Veranstaltungsort entfernt, wurde im Rahmen des Side Events altctrl.org eine Initiative vorgestellt, die in den darauffolgenden Stunden für viel Gesprächsstoff sorgte: FAIR – ein neues, dezentrales Distributionssystem für WordPress-Komponenten.
Initiiert von Karim Marucchi und Joost de Valk entstand FAIR als Reaktion auf zunehmende Diskussionen rund um zentrale Abhängigkeiten im WordPress-Ökosystem. Der konkrete Auslöser war ein Vorfall im Oktober 2024: Im Rahmen der Wartung des populären Plugins Advanced Custom Fields (ACF), das inzwischen zu WP Engine gehört, kam es zu einem kurzfristig problematischen Slug-Transfer innerhalb des offiziellen Plugin-Repositories. Obwohl kein Schaden entstand, führte die Situation zu Unsicherheit – insbesondere bei grossen Unternehmen, die WordPress geschäftskritisch einsetzen. Die zentrale Frage lautete: Wie resilient ist die Infrastruktur, wenn einzelne Änderungen so weitreichende Auswirkungen haben können – ohne erkennbare Kontrolle?
FAIR will genau hier ansetzen – nicht als Fork, sondern als alternative, föderierte Infrastruktur.
Die Idee: Hostinganbieter, Agenturen oder Grossunternehmen können eigene Update-Server betreiben und selbst kuratieren, welche Plugins, Themes oder Sprachpakete sie ausliefern. Endnutzerinnen und -nutzer merken davon im Idealfall nichts – sie installieren ein Plugin, das ihre Quelle ändert, und nutzen weiterhin WordPress Core.

Die Rolle der Linux Foundation
Was FAIR von vielen anderen Open-Source-Versuchen unterscheidet, ist die institutionelle Verankerung. Seit Juni 2025 ist FAIR ein offizielles Projekt der Linux Foundation. Die technische Leitung übernimmt ein Steering Committee mit bekannten Persönlichkeiten wie Carrie Dils, Mika Epstein und Ryan McCue. Ziel ist eine robuste, langfristig tragfähige Struktur – unabhängig von Einzelpersonen oder Unternehmen.
Die Features im Überblick:
- Dezentrale Verteilung von Plugins, Themes, Übersetzungen
- Verbesserte Datenschutzkonformität (GDPR)
- Vorbereitung auf die Anforderungen des EU Cyber Resilience Acts (CRA)
- Kryptografisch signierte Pakete für mehr Sicherheit
- Möglichkeit, auch kommerzielle Plugins einzubinden
- Offene Governance und aktive Einbindung der Community
Zahlreiche Organisationen wie Fastly, die CNCF oder die OpenJS Foundation haben öffentlich ihre Unterstützung signalisiert. Die Beteiligten betonen: FAIR ist kein Angriff auf wordpress.org, sondern ein zusätzliches Angebot – entstanden aus dem Bedürfnis nach Wahlfreiheit, Stabilität und langfristiger Resilienz.
Matt Mullenweg im Gespräch: Skepsis, aber konstruktiv
Beim Q&A auf der Hauptbühne wurde Matt Mullenweg direkt auf FAIR angesprochen. Die Frage kam von Milana Cap, die FAIR als ein Angebot beschrieb, das Sicherheit, Kontrolle und Entlastung bringen könne – auch für wordpress.org selbst.
Mullenweg reagierte zurückhaltend, aber respektvoll. Er wies auf zentrale Herausforderungen hin: Sicherheitsrisiken durch potenziell viele Distributionspunkte, der Verlust von Telemetrie- und Kompatibilitätsdaten, Probleme bei Rollouts und Moderation. Gleichzeitig lobte er, dass hier nicht nur diskutiert, sondern funktionierender Code geschrieben werde – und liess offen, ob FAIR langfristig eine Nische bleibt oder sich weiterentwickelt.
Milana entgegnete trocken: «Ich weiss nicht, wie man all das löst – aber wir haben viele kluge Leute. Und wir können reden.»

Eine offene Zukunft
Ob FAIR sich als Parallelstruktur etablieren kann oder langfristig sogar in bestehende WordPress-Prozesse integriert wird, ist offen. Sicher ist: Die Diskussion um Governance, Vertrauen, Infrastruktur und Wahlfreiheit im WordPress-Ökosystem ist mit FAIR um eine konkrete Facette reicher geworden.
Als langjähriger Community-Mitwirkender sehe ich in FAIR keinen Spaltpilz, sondern einen Stresstest – für Strukturen, Beziehungen und den Willen zur Kooperation. Die kommenden Monate werden zeigen, ob FAIR zu einem Werkzeug wird, das viele nutzen, oder zu einer Reserveinfrastruktur für Spezialfälle.
In jedem Fall gilt: Die Offenheit der WordPress-Community ist nicht nur ein Ideal, sondern immer wieder eine Übung – in Kritik, in Innovation, und im Zuhören.
Quellen
- Beitragsbilder von Nick Weisser, Kostas Fryganiotis, Chiharu Nagatomi, Mario Rimann, Kostas Fryganiotis und Atsushi Ando
- Inside WordCamp Europe 2025: Lead Organizers on Making Basel Affordable, Inclusive, and Community-First
- Introducing FAIR: A Stronger, More Resilient WordPress Ecosystem
- Linux Foundation Announces the FAIR Package Manager Project for Open Source Content Management System Stability
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