KI in der Schule: Zwischen Leitfaden und Praxis in der Schweiz

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Künstliche Intelligenz ist längst kein Zukunftsthema mehr – sie ist schon mitten im Schulalltag angekommen. Mein Sohn hat gerade die Matura abgeschlossen und dabei ein ChatGPT Pro-Abo genutzt. Besonders in der Vorbereitungszeit war das eine wertvolle Unterstützung. Er konnte sich zu einzelnen Themen oder Rechenaufgaben gezielt Übungsaufgaben generieren lassen – etwas, das in der kostenlosen Version nur eingeschränkt funktioniert, weil dort pro Sitzung nur eine begrenzte Anzahl an Dateien oder Inhalten hochgeladen werden kann.

Solche persönlichen Erfahrungen zeigen deutlich: Lernende nutzen KI längst, ganz selbstverständlich und eigeninitiativ. Schulen und Lehrkräfte stehen daher vor der Frage, wie sie den Einsatz von KI im Unterricht sinnvoll gestalten und begleiten können. Einen wichtigen Orientierungsrahmen bietet der neue Leitfaden A Guide to AI in Schools: Perspectives for the Perplexed des MIT Teaching Systems Lab. Gleichzeitig gibt es in der Schweiz erste konkrete Policies und Tools, die Lehrkräfte und Schulen unterstützen.

Ethische Leitplanken: Worauf Schulen achten sollten

Der MIT-Leitfaden formuliert zentrale Prinzipien für den Einsatz von KI in der Bildung. Dazu gehören Transparenz, Gerechtigkeit, Datenschutz, Verantwortung und das Wohl der Lernenden. Lehrkräfte sollen sich bewusst machen, dass KI nicht neutral ist: Sie kann Vorurteile verstärken, falsche Informationen liefern oder neue Abhängigkeiten schaffen.

Ganz ähnliche Überlegungen finden wir bereits in der Schweiz. Der Kanton Zürich hat fünf Leitprinzipien formuliert:

  • KI soll Inspiration bieten und Lernprozesse bereichern.
  • Lehrende und Lernende sollen verstehen, wie KI funktioniert – Chancen wie Grenzen.
  • Der Zugang zu KI muss gerecht sein, unabhängig von Herkunft oder Ressourcen.
  • Datenschutz und rechtliche Vorgaben sind einzuhalten.
  • Ziel ist eine sinnvolle Ergänzung, kein Ersatz der pädagogischen Arbeit.

Diese Haltung macht klar: KI ist willkommen – aber nur, wenn sie verantwortungsvoll eingebettet wird.

Auswirkungen auf Lernen und Lehren

Die Forschung steckt noch in den Anfängen, doch die ersten Erfahrungen zeichnen ein gemischtes Bild.

Chancen

  • KI kann Aufgaben individualisieren und differenzieren.
  • Sie bietet schnelles Feedback und unterstützt beim Programmieren oder Problemlösen.
  • Schüler:innen lernen, KI-Fehler zu erkennen und kritisch zu reflektieren.

Risiken

  • Zuviel Bildschirmzeit und Ablenkung.
  • Gefahr, dass grundlegende Fähigkeiten wie kritisches Denken oder exaktes Argumentieren verloren gehen.
  • Die Frage nach „Wer hat diese Aufgabe wirklich gelöst?“ wird drängender.

In der Schweiz wird dieses Spannungsfeld ernst genommen: Mit der BeLEARN-KI-Orientierung im Kanton Bern gibt es beispielsweise eine Ressource für Lehrkräfte, die Grundlagen, rechtliche Aspekte und konkrete Anwendungsbeispiele bündelt. Und der Lehrerverband LCH fordert in einem Positionspapier einen lernwirksamen, systematischen Einsatz – ohne Illusionen, aber mit klarer pädagogischer Ausrichtung.

Policies: Zwischen Verbot und Ermöglichen

Soll man KI einfach verbieten? Der MIT-Leitfaden rät davon ab. Ein Verbot sei weder praktikabel noch pädagogisch sinnvoll. Stattdessen werden Pilotphasen empfohlen – nach dem Prinzip «no until yes»: Erst war KI verboten, später wurde sie in einem geregelten Rahmen erlaubt. Solche Ansätze geben Schulen Zeit zum Ausprobieren, Beobachten und Nachjustieren.

Auch in der Schweiz geht es eher um Gestaltung als um Verbote.

  • Educa stellt mit dem educa Navigator Orientierung zu digitalen Tools bereit.
  • Edulog sorgt für sichere digitale Identitäten im Bildungsbereich.
  • Viele Schulen entwickeln eigene Richtlinien, die sich an kantonalen Empfehlungen orientieren.

Wichtig ist: Policies müssen praxisnah sein und sowohl Lehrkräfte als auch Lernende und Eltern einbeziehen.

Konkrete Tools im Einsatz

Während Leitlinien Orientierung geben, sind es die Tools, die den Alltag prägen. In der Schweiz sind bereits einige Plattformen und Anwendungen im Einsatz:

  • KI Schulgenie: Eine Plattform mit über 120 Anwendungen für Lehrkräfte – von Arbeitsblättern über Quizfragen bis zu Feedback oder Lernspielen. Alle Funktionen sind DSGVO- und DSG-konform und kommen ohne Schülerdaten aus.
  • Adaptive Lernplattformen: Sie passen Inhalte automatisch an den Lernstand einzelner Schülerinnen und Schüler an.
  • Automatisierte Bewertung: Erste Tests mit Systemen, die Texte oder Programmieraufgaben direkt korrigieren, während die Lehrkraft das Ergebnis prüft und ergänzt.
  • Hochschulen: An der ETH Zürich wird der Einsatz von KI in der Lehre aktiv gefördert. An der SIU wiederum unterstützen KI-Chatbots Verwaltung und Studierendenberatung.
  • Forschung: Projekte wie Virtual CAT entwickeln mehrsprachige Assessment-Tools, die algorithmisches Denken fair und inklusiv messen sollen.

Praxis im Unterricht: Wie KI konkret helfen kann

Der MIT-Leitfaden gibt Beispiele, die sich direkt auf den Unterricht übertragen lassen:

  • Reflexionsaufgaben: Schüler:innen analysieren KI-generierte Texte, finden Fehler und diskutieren Verbesserungen.
  • Differenzierte Materialien: KI erstellt verschiedene Aufgabenniveaus, sodass alle Lernenden individuell gefördert werden.
  • Sprachförderung: KI unterstützt mehrsprachige Schüler:innen beim Verstehen und Formulieren.
  • Kommunikation: Lehrkräfte können Elternbriefe oder E-Mails mithilfe von KI entwerfen und anschliessend personalisieren.
  • Brainstorming: KI liefert Ideen, die im Unterricht kritisch überprüft und weiterentwickelt werden.

Solche Szenarien zeigen: KI kann Unterricht bereichern – wenn sie nicht als Abkürzung verstanden wird, sondern als Werkzeug zur Reflexion und Differenzierung.

Fazit: Chancen nutzen, Verantwortung teilen

Die Diskussion über KI in Schulen ist kein „ob“, sondern ein „wie“. Der MIT-Leitfaden liefert internationale Impulse, die in der Schweiz bereits sichtbar werden – sei es durch kantonale Orientierungshilfen, Plattformen wie KI Schulgenie oder die Positionierung grosser Bildungsinstitutionen wie der ETH.

Für Lehrkräfte heisst das:

  • Experimentieren und reflektieren – nicht nur kontrollieren oder verbieten.
  • Schülerinnen und Schüler befähigen, KI kritisch und kreativ einzusetzen.
  • Gemeinsam Verantwortung übernehmen – im Kollegium, in der Schulleitung und mit den Eltern.

KI ist kein Ersatz für Lehrpersonen. Aber sie kann eine wertvolle Ergänzung sein, wenn sie bewusst und verantwortungsvoll eingesetzt wird – zum Wohle von Lernenden und Lehrenden gleichermassen.

Beitragsbild von Priscilla Du Preez