Die klassische Vorstellung vom Marketing-Funnel – von Aufmerksamkeit über Interesse bis zum Kauf – passt immer weniger zur Realität moderner Konsumgewohnheiten. Eine neue Studie der Boston Consulting Group zeigt: Der Weg zur Kaufentscheidung verläuft heute selten linear.
Digitale Plattformen, insbesondere Videoangebote, begleiten Konsumenten nicht nur am Anfang der Customer Journey. Sie prägen Entscheidungen in jeder Phase – vom ersten Interesse bis zum finalen Kauf. Die Herausforderung für Unternehmen: Relevante Kontaktpunkte zu identifizieren, anstatt sich auf veraltete Modelle zu verlassen.
Weg vom Trichter – hin zur simultanen Journey
Die BCG-Studie, die im Auftrag von Google durchgeführt wurde, beschreibt die heutige Kaufentscheidung als Ergebnis vier gleichzeitig ablaufender Verhaltensweisen: Streamen, Scrollen, Suchen, Shoppen.
Im Gegensatz zum klassischen Trichter-Modell überlagern sich diese Aktivitäten – Nutzerinnen springen zwischen Inspiration, Recherche und Entscheidung hin und her. Digitale Videos spielen dabei eine wichtige Rolle, aber nicht allein zur Markenbildung:
- 43 % der Befragten gaben an, durch ein Video überhaupt erst Interesse an einem Produkt entwickelt zu haben.
- 45 % nutzten Videos, um sich zwischen Marken oder Modellen zu entscheiden.
- 34 % liessen sich sogar direkt zu einem Kauf bewegen.
Diese Zahlen zeigen: Wer bei der Medienplanung nur auf Reichweite in der Awareness-Phase setzt, verschenkt Potenzial.
Einfluss ist mehr als Sichtbarkeit
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist die Verschiebung hin zu qualitativen Kriterien für die Wirkung digitaler Touchpoints. Drei Faktoren stehen im Vordergrund:
- Aufmerksamkeit: Inhalte müssen inmitten der Reizflut bestehen.
- Relevanz: Nur was zur Lebensrealität passt, wird als nützlich empfunden.
- Vertrauen: Kaufentscheidungen hängen stark vom Vertrauensverhältnis zur Quelle ab.
Unterschiedliche Plattformen erfüllen diese Kriterien in unterschiedlichem Masse. Während soziale Netzwerke oft auf kurze Aufmerksamkeitsspannen setzen, punkten andere Formate stärker mit Tiefe oder Glaubwürdigkeit. Laut Studie werden YouTube-Inhalte z. B. als besonders aufmerksamkeitsstark, relevant und vertrauenswürdig eingestuft – mehr noch als klassische soziale Medien oder Streaming-Plattformen.
Creator-Empfehlungen beeinflussen Entscheidungen
Ein weiterer Aspekt: Empfehlungen von Creators – also Einzelpersonen mit einer aktiven Community – geniessen wachsendes Vertrauen. Besonders dann, wenn die Inhalte als authentisch wahrgenommen werden und nicht rein werblich auftreten. In einer begleitenden Studie von Ipsos gaben Online-Nutzer an, dass sie Empfehlungen von YouTube-Creators fast doppelt so häufig vertrauen wie solchen auf anderen Plattformen.
Das unterstreicht die zunehmende Bedeutung von glaubwürdigen Personen und Formaten – unabhängig davon, ob sie auf YouTube, TikTok, Instagram oder einem anderen Kanal stattfinden.
Konsequenzen für Marken und Agenturen
Die Studie liefert keine Patentlösung, aber deutliche Hinweise darauf, dass der alte Funnel in der heutigen Mediennutzung zu kurz greift. Statt linear zu denken, lohnt sich ein Blick auf tatsächliche Einflussfaktoren:
- Weniger Fokus auf reine Reichweite, mehr Gewicht auf Wirkung entlang der gesamten Journey
- Plattformwahl nicht nach Formatlogik, sondern nach tatsächlichem Einfluss auf Kaufentscheidungen
- Erweiterte Erfolgsmessung, die auch Aufmerksamkeit, Relevanz und Vertrauen berücksichtigt
Marken, die sich an diesen neuen Prinzipien orientieren, agieren näher an der Lebenswelt ihrer Zielgruppe – und nutzen die Potenziale digitaler Plattformen besser aus.
Plattformen mit Einfluss in allen Phasen der Journey
Diese Plattformen begleiten Nutzer sowohl bei der ersten Inspiration als auch bei der konkreten Kaufentscheidung:
Plattform | Rolle entlang der Journey |
---|---|
YouTube | Recherchieren, Meinungen einholen, Tutorials, Produktvergleiche |
Google Search | Informationssuche, Produktauswahl, Preisvergleich |
Visuelle Inspiration, Influencer-Empfehlungen, Produkt-Entdeckung | |
TikTok | Trend-Entdeckung, authentische Creator-Stimmen, Kurzbewertungen |
Frühe Inspiration und Wunschlisten, v. a. im Lifestyle-/DIY-Bereich |
Formate, die Vertrauen und Aufmerksamkeit schaffen
Diese Formate sind besonders geeignet, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, Relevanz herzustellen und Vertrauen aufzubauen:
Format | Wirkung |
---|---|
How-to-Videos | Problemlösung, Mehrwert, Entscheidungshilfe |
Produkt-Demonstrationen | Transparenz, Vergleich, Funktionen im Einsatz zeigen |
Creator-Kooperationen | Authentizität, Empfehlungen von glaubwürdigen Personen |
YouTube Shorts / TikTok | Schnelle Inspiration, Trends, kurze Impulse |
Testimonials / Reviews | Soziale Beweise, Bestätigung durch andere Nutzer |
Live-Streams | Interaktivität, Nähe, Echtzeit-Feedback |
Fazit: Die Customer Journey ist fragmentiert – und voller Chancen
In einer fragmentierten Medienlandschaft entscheiden nicht mehr lineare Funnels über den Erfolg, sondern authentische Berührungspunkte entlang flexibler, individueller Wege. Das bedeutet für Marketingverantwortliche: weniger Kontrolle, aber mehr Chancen. Wer es schafft, an den relevanten Stellen Verbindung statt Unterbrechung zu schaffen, kann Vertrauen aufbauen – und langfristig Kundinnen gewinnen.
Konkret heisst das: Statt Zielgruppen mit generischen Kampagnen anzusprechen, sollten Marken kontextbezogene Inhalte entwickeln, die echte Aufmerksamkeit erzeugen. Es braucht Partnerschaften mit glaubwürdigen Stimmen, nicht nur Werbeschaltungen. Und es lohnt sich, in Plattformen und Formate zu investieren, die in jeder Phase der Entscheidung relevant sind – nicht nur ganz am Anfang.
Credits
- Beitragsbild von Ales Krivec
- The new rules of influence: Rethinking the consumer journey – Think with Google
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