Die ideologischen Wurzeln künstlicher Intelligenz

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Die Diskussion über künstliche Intelligenz ist längst nicht mehr nur eine technologische. Hinter vielen Zukunftsvisionen verbergen sich ideologische Muster – das zeigt der Philosoph Rainer Mühlhoff in seinem neuen Buch «Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus».

Die öffentliche Debatte rund um KI ist geprägt von grossen Versprechen, düsteren Warnungen und einer Mischung aus Faszination und Angst. Dass hinter diesen emotional aufgeladenen Diskursen auch bestimmte Weltanschauungen stehen, macht der Osnabrücker Professor Rainer Mühlhoff in seinem aktuellen Buch deutlich. Mühlhoff, erster Inhaber einer Professur für «Ethik der Künstlichen Intelligenz» in Deutschland, legt dabei den Fokus nicht auf technische Details – sondern auf die ideologischen Wurzeln populärer KI-Narrative.

Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus
Buch erschienen am 16. Juli 2025: Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus von Rainer Mühlhoff

Technologischer Determinismus: Der Glaube an die Unvermeidbarkeit

Eines der zentralen Konzepte in Mühlhoffs Analyse ist der technologische Determinismus. Gemeint ist damit die Vorstellung, dass technischer Fortschritt nicht nur unausweichlich, sondern auch der zentrale Treiber gesellschaftlicher Entwicklung sei. Technologie erscheint in diesem Weltbild als autonome Kraft – fast wie eine Naturgewalt – die man weder aufhalten noch grundlegend hinterfragen kann.

Prominente Vertreter dieser Haltung sind laut Mühlhoff Persönlichkeiten wie OpenAI-CEO Sam Altman. Wenn Altman schreibt, dass KI «unstoppable» sei und «phänomenalen Reichtum» erzeugen werde, spiegelt sich darin nicht nur ein Glaube an die Technologie, sondern auch ein implizites Weltbild: Fortschritt geschieht, ob wir wollen oder nicht – also sollten wir ihn besser begrüssen.

Kritisch hinterfragt Mühlhoff, dass diese Haltung häufig blind für soziale und ökologische Folgen bleibt. Wer Technologie als Schicksal begreift, blendet schnell die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit, Macht und Verantwortung aus. Was als objektiver Fortschritt verkauft wird, dient häufig handfesten wirtschaftlichen Interessen.

Transhumanismus: Der Mensch als überwindbares Projekt

Verwandt mit dem technologischen Determinismus ist der Transhumanismus, der davon ausgeht, dass der Mensch seine biologischen Grenzen durch Technologie überwinden kann – und soll. Mühlhoff zeichnet die Geschichte dieser Idee bis zum britischen Eugeniker Julian Huxley zurück und zeigt auf, wie sich aus dieser Denkweise heute sowohl medizinisch sinnvolle Innovationen (wie Prothesen oder Neuro-Implantate) als auch visionäre bis fragwürdige Projekte speisen – etwa das Hochladen des Bewusstseins in die Cloud, wie es Elon Musks Unternehmen Neuralink propagiert.

Transhumanismus ist damit mehr als nur ein Technik-Enthusiasmus – er ist eine normativ aufgeladene Weltanschauung, die die menschliche Natur als verbesserungsbedürftig betrachtet und oft wenig Raum für Vulnerabilität, Endlichkeit oder soziale Fragen lässt. Dass diese Ideologie eng mit der Geschichte der Eugenik verwoben ist, thematisiert Mühlhoff bewusst – und konfrontiert damit einen Teil der Tech-Szene mit einem unbequemen historischen Erbe.

Utilitaristische Ethik, Effektiver Altruismus und Longtermismus

Ein drittes ideologisches Fundament des KI-Diskurses sieht Mühlhoff in utilitaristisch geprägten Zukunftsphilosophien wie dem Effektiven Altruismus und dem Longtermismus. Diese Konzepte gehen auf Denker wie Nick Bostrom zurück, die argumentieren, dass wir heute moralisch verpflichtet seien, Entscheidungen im Hinblick auf das Wohlergehen künftiger – teils hypothetischer – Milliarden Menschen zu treffen. Daraus folgt oft eine Priorisierung von Themen wie existenziellen Risiken durch Superintelligenz gegenüber akuten Problemen wie Armut, Ungleichheit oder Klimakrise.

Rainer Mühlhoff
Foto: Rainer Mühlhoff

Longtermismus, in seiner radikaleren Ausprägung, suggeriert: Wenn es um das Überleben der Menschheit in Hunderttausenden von Jahren geht, sind heutige Ungleichheiten zweitrangig. Kritiker wie Timnit Gebru und Émile Torres warnen, dass diese Perspektive ein gefährliches Ablenkungsmanöver sein kann – und einer technokratischen Elite erlaubt, ethische Entscheidungen zu monopolisieren.

Mühlhoff stellt diese Weltanschauungen nicht pauschal in Frage – wohl aber ihren Einfluss auf den öffentlichen Diskurs. Er argumentiert, dass sie eine gefährliche Schlagseite erzeugen: Wer die Zukunft in so grossen Massstäben denkt, verliert leicht die Bodenhaftung im Hier und Jetzt.

Eine berechtigte Kritik – aber ist sie zu pauschal?

Mühlhoffs Analyse ist pointiert, fundiert und lesenswert. Er rückt in den Fokus, was oft übersehen wird: dass technologische Erzählungen nie neutral sind, sondern von Interessen und Weltbildern durchzogen. Wer heute über KI spricht, spricht auch über Macht, Verantwortung und Werte.

Doch wie jede Ideologiekritik steht auch diese Analyse vor der Herausforderung der Differenzierung. Nicht jeder Tech-Enthusiast im Silicon Valley ist automatisch Anhänger einer gefährlichen Zukunftsreligion. Und nicht jedes Projekt zur Nutzung von KI ist gleich ideologisch verblendet. Zwischen berechtigter Kritik und pauschaler Ablehnung liegt ein schmaler Grat.

Zudem bleibt die Frage offen, wie ein alternativer, verantwortungsvoller KI-Diskurs konkret aussehen kann. Mühlhoff liefert viele kluge Diagnosen – doch Therapieansätze bleiben vage. Gerade in Zeiten, in denen sich auch demokratische Gesellschaften auf KI-Anwendungen verlassen müssen, wäre es hilfreich, differenzierte Leitbilder zu entwerfen, anstatt nur Ideologiekritik zu betreiben.

Fazit: Ein wichtiger Impuls zur richtigen Zeit

Rainer Mühlhoffs Buch ist ein Weckruf – an Medien, Politik und Öffentlichkeit. Es fordert dazu auf, sich mit den ideologischen Fundamenten des KI-Diskurses auseinanderzusetzen und nicht blind in die nächste Disruption zu stolpern. Wer KI ernst nimmt, muss auch ihre kulturellen, ethischen und sozialen Voraussetzungen reflektieren.

Gerade in einer Zeit, in der Technologie immer stärker unseren Alltag, unsere Entscheidungen und unser Selbstbild prägt, ist diese Art der kritischen Reflexion unverzichtbar. Auch – oder gerade – wenn man KI nicht verteufeln will.

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