Der kreative Aufbruch – und seine Schattenseiten
Noch nie war es so einfach, kreativ zu sein, Inhalte zu erstellen und damit Geld zu verdienen. Gleichzeitig war es aber auch noch nie so schwer, mit den eigenen Inhalten zuverlässig Menschen zu erreichen. Der aktuelle «State of Create» Bericht von Patreon, der Plattform für direkte Creator-Unterstützung, dokumentiert ein Paradox: Die Werkzeuge sind da, das Publikum ist da – und dennoch fühlen sich Creator von den Plattformen entkoppelt, ausgebrannt und manipulierbar.

Die «For You»-Falle
TikTok hat mit seiner For You Page das Social Web revolutioniert – nicht unbedingt zum Vorteil der Creators. Plattformen wie Instagram und YouTube folgten mit ähnlichen Empfehlungsalgorithmen. Ergebnis: Statt den Inhalten der Menschen, denen man folgt, sieht man überwiegend algorithmisch kuratierte Kurzvideos von Fremden – Content, der Aufmerksamkeit bindet, aber selten Tiefe bietet.
Ein beunruhigender Befund:
Mehr als 70 % der TikTok-Zeit verbringen Nutzerinnen und Nutzer mit Content von Creators, denen sie gar nicht folgen.


Creator unter Druck: Burnout, Clickbait, Trendzwang
Die Kurzformate, auf die Plattformen setzen, liefern schnelle Reichweite – aber wenig Bindung. Creator berichten von wachsendem Druck, ständig «relevant» zu bleiben, Trends zu bedienen, statt ihre eigenen Ideen zu verfolgen. Die kreative Arbeit wird zur «Hamsterrad-Kreativität», der Algorithmus diktiert die Inhalte.
«Bevor du’s merkst, schaffst du nicht mehr aus Leidenschaft, sondern aus Berechnung.»
– Malick Lombion, Visual Artist
Die Hoffnung: Echte Fans, direkte Beziehungen
Trotz allem zeigt der Bericht, dass viele Creators umdenken: Statt Followerzahlen und Likes rücken direkte Beziehungen zu echten Fans («Core Fans») in den Fokus. Diese tragen überproportional zum Einkommen bei, unterstützen aktiv und schaffen Communities, die unabhängig von Plattform-Algorithmen bestehen können.
Dazu passt das Wachstum des Direct-to-Fan-Markts: Über 50% der Umsätze in der Creator Economy stammen inzwischen aus Subscriptions, Merch oder digitalen Produkten – nicht aus Werbung.

Kritische Einordnung: Medienkompetenz als Gegengewicht zur TikTokisierung
Die «State of Create» bietet wertvolle Einblicke, bleibt aber bei einem Punkt zu optimistisch: Sie betont die Verantwortung der Plattformen, erwähnt aber kaum die Eigenverantwortung von Nutzerinnen und Creatorn.
Tatsächlich gibt es auf jeder Plattform Alternativen zur Algorithmusflut:
- TikTok: Man kann zur „Gefolgt“-Ansicht wechseln.
- Instagram: Links oben auf „Gefolgt“ umstellen.
- YouTube: Einfach die Abo-Übersicht statt der Startseite nutzen.
Diese Funktionen sind da – sie werden nur kaum genutzt.
Echte Medienkompetenz bedeutet heute nicht nur, Inhalte zu konsumieren oder selbst zu erstellen. Es bedeutet auch, sich bewusst gegen das süchtig machende Dauerfeuer der «For You»-Feeds zu entscheiden, um die Creators zu unterstützen, denen du folgst.
Ein Appell an alle:
Wechsle öfter bewusst in die «Gefolgt»-Ansicht. Unterstütze Creator, denen du wirklich folgst. Nimm dir Zeit für Tiefe.
Denn: Wenn wir den Algorithmus ständig entscheiden lassen, was uns gezeigt wird, verlieren wir die Kontrolle über unsere Aufmerksamkeit – und damit auch über unsere Werte.
Fazit
Die Creator Economy steht an einem Wendepunkt. Die «For You»-Dominanz hat zwar Wachstum ermöglicht, aber auch entfremdet. Die Zukunft gehört denjenigen, die echte Beziehungen zu ihren Fans aufbauen – und den Nutzerinnen und Nutzern, die sich entscheiden, nicht nur zu scrollen, sondern zu wählen.
Nicht der Algorithmus sollte bestimmen, was zählt – sondern du.
Quellen
- Beitragsbild mit Patreon Gründer Jack Conte und Van Neistat von Patreon
- State of Create 2025 (Deutsche Version)
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